Die Kluft zwischen natürlichen und synthetischen Materialien wird kleiner
Natürliche Materialien wie Haut, Knorpel und Sehnen sind zäh genug, um unser Körpergewicht und unsere Bewegungen zu tragen, und doch flexibel genug, damit sie nicht so leicht reissen. Obwohl wir diese Eigenschaften als selbstverständlich voraussetzen, ist es viel schwieriger als es sich anhört, diese einzigartige Kombination in synthetischen Materialien nachzubilden. Nun haben Forschende der EPFL eine neue Methode entwickelt, um starke, geschmeidige Verbundpolymere herzustellen, die den in der Natur vorkommenden Materialien näher kommen. Ihr Durchbruch, der in einer Studie in der Fachzeitschrift Advanced Functional Materials beschrieben wird, könnte Anwendung finden in Bereichen wie Soft Robotics und Knorpelprothesenimplantaten.
Normalerweise fallen synthetische Hydrogele in zwei sehr unterschiedliche Materialkategorien. Die erste Art, zu der Fensterglas und einige Polymere gehören, ist hart und tragfähig, aber notorisch schlecht in der Energieabsorption: Selbst der kleinste Riss kann sich durch die Struktur ausbreiten. Die Materialien der zweiten Gruppe sind besser in der Lage, Rissen standzuhalten, aber es gibt einen Kompromiss: Sie sind extrem weich – so weich, dass sie keine schweren Lasten tragen können.
Doch einige natürliche Materialen – zusammengesetzt aus einer Kombination von biologischen Materialien und Proteinen, einschliesslich Kollagen – sind sowohl stark als auch rissbeständig. Diese Eigenschaften verdanken sie ihrer hochpräzisen Struktur, die von der Nano- bis zur Millimeterskala reicht. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Fasern, die zu grösseren Strukturen verdrillt sind, die wiederum zu anderen Strukturen angeordnet sind, und so weiter.
«Wir sind noch weit davon entfernt, die Struktur von Kunststoffen auf so vielen verschiedenen Skalen kontrollieren zu können», sagt Esther Amstad, Assistenzprofessorin am Labora für weiche Materialien der EPFL und federführende Autorin des Artikels. Doch Matteo Hirsch und Alvaro Charlet – zwei Doktoranden, die unter Amstads Leitung arbeiten – haben einen neuen Ansatz für den Bau synthetischer Verbundwerkstoffe entwickelt und sich dabei an der Natur orientiert. «In der Natur werden Grundbausteine in Kompartimenten eingekapselt, die dann hochgradig lokalisiert freigesetzt werden», erklärt Amstad. «Dieser Prozess ermöglicht eine bessere Kontrolle über die endgültige Struktur und lokale Zusammensetzung eines Materials. Wir verfolgten einen ähnlichen Ansatz, indem wir unsere eigenen Bausteine in Kompartimenten anordnen und sie dann zu einem Überbau zusammensetzen.»
Zunächst kapselten die Forschenden Monomere in Tröpfchen einer Wasser-Öl-Emulsion ein, die als Kompartimente dienen. Im Inneren der Tröpfchen verbinden sich die Monomere zu einem Netzwerk aus Polymeren. Zu diesem Zeitpunkt sind die Mikropartikel stabil, aber die Wechselwirkungen zwischen ihnen sind schwach, was bedeutet, dass das Material nicht gut zusammenhält. Als nächstes wurden die Mikropartikel – die hochporös wie Schwämme sind – in einer anderen Art von Monomer eingeweicht, bevor das Material zu einer Art Paste reduziert wurde. Sein Aussehen ist, wie Alvaro Charlet es ausdrückt, «ein bisschen wie nasser Sand, den man zu einer Sandburg formen kann».
Die Forschenden druckten die Paste dann in 3D aus und setzten sie UV-Strahlung aus. Dies führte dazu, dass die im zweiten Schritt zugesetzten Monomere polymerisierten. Diese neuen Polymere verflochten sich mit den zuvor im Prozess gebildeten Polymeren und härteten so die Paste aus. Das Ergebnis war ein aussergewöhnlich starkes, strapazierfähiges Material. Das Forschungsteam zeigte, dass ein Rohr von nur 3 mm Durchmesser einer Zugbelastung von bis zu 10 kg und einer Druckbelastung von bis zu 80 kg standhalten kann, ohne seine strukturelle Integrität zu beschädigen.
© 2020 EPFL
Ihre Entdeckung findet potenzielle Anwendungen in der Soft-Robotik, wo Materialien, die die Eigenschaften von lebendem Gewebe imitieren, sehr gefragt sind. Das bahnbrechende Verfahren könnte auch zur Entwicklung biokompatibler Materialien für Knorpelprothesenimplantate eingesetzt werden.