MRT hilft, die Geheimnisse des Schlafs zu entschlüsseln

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL sowie der Universitäten Genf, Kapstadt und Bochum haben sich zusammengetan, um die Gehirnaktivität während des Schlafs mit Hilfe von MRT-Scans zu untersuchen. Es stellt sich heraus, dass unsere Gehirne viel aktiver sind, als wir dachten.
Dimitri Van De Ville und Anjali Tarun © Alain Herzog / 2021 EPFL

Unser Bewusstseinszustand verändert sich in den Phasen des Tiefschlafs deutlich, genauso wie im Koma oder unter Vollnarkose. Wissenschaftlerinnen haben lange geglaubt – konnten sich aber nicht sicher sein – dass die Gehirnaktivität abnimmt, wenn wir schlafen. Die meisten Forschungen zum Thema Schlaf werden mit Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG) durchgeführt, einer Methode, bei der die Hirnaktivität durch Elektroden gemessen wird, die entlang der Kopfhaut eines Patienten angebracht werden. Anjali Tarun, Doktorandin am EPFL-Labor für medizinische Bildverarbeitung innerhalb der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie, entschied sich jedoch, die Hirnaktivität während des Schlafs mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) zu untersuchen. Laut Dimitri Van De Ville, dem Leiter des Labors, «messen MRT-Scans die neuronale Aktivität, indem sie die hämodynamische Reaktion von Strukturen im gesamten Gehirn erfassen und so zusätzlich zu den EEGs wichtige Informationen liefern». Bei diesen Experimenten verliess sich Tarun auf die EEGs, um festzustellen, wann die Studienteilnehmenden eingeschlafen waren und um die verschiedenen Schlafstadien zu bestimmen. Dann untersuchte sie die MRT-Bilder, um räumliche Karten der neuronalen Aktivität zu erstellen und verschiedene Gehirnzustände zu bestimmen.

Schwierig zu beschaffende Daten

Der einzige Haken war, dass es nicht einfach war, MRTs des Gehirns bei den Teilnehmenden durchzuführen, während sie schliefen. Die Geräte sind sehr laut, so dass es für die Teilnehmenden schwierig ist, einen Zustand des Tiefschlafs zu erreichen. Aber in Zusammenarbeit mit Prof. Sophie Schwartz von der Universität Genf und Prof. Nikolai Axmacher von der Ruhr-Universität Bochum konnte Tarun die gleichzeitigen MRT- und EEG-Daten von etwa dreissig Personen nutzen. Die Hirnaktivitätsdaten wurden über einen Zeitraum von fast zwei Stunden erhoben, während die Teilnehmenden in einem MRT-Gerät schliefen. «Zwei Stunden sind eine relativ lange Zeit, was bedeutet, dass wir in der Lage waren, eine Reihe von seltenen, zuverlässigen Daten zu erhalten», sagt Tarun. «MRTs, die durchgeführt werden, während eine Person eine kognitive Aufgabe ausführt, dauern normalerweise etwa 10 bis 30 Minuten.»

Dimitri Van De Ville and Anjali Tarun © Alain Herzog / 2021 EPFL

Gehirnaktivität während des Schlafs

Nachdem sie alle Daten geprüft, analysiert und verglichen hatte, fand Tarun Erstaunliches heraus: «Wir berechneten genau, wie oft Netzwerke, die aus verschiedenen Teilen des Gehirns bestehen, während jeder Schlafphase aktiv wurden», sagt sie. «Wir entdeckten, dass während der leichten Schlafphasen – also zwischen dem Einschlafen und dem Eintritt in den Tiefschlaf – die Gehirnaktivität insgesamt abnimmt. Aber die Kommunikation zwischen verschiedenen Teilen des Gehirns wird viel dynamischer. Wir denken, dass dies auf die Instabilität der Hirnzustände während dieser Phase zurückzuführen ist», fügt Van De Ville hinzu: «Was uns bei all dem wirklich überrascht hat, war das daraus resultierende Paradoxon. Während der Übergangsphase vom Leicht- zum Tiefschlaf nahm die lokale Hirnaktivität zu und die gegenseitige Interaktion ab. Dies deutet auf die Unfähigkeit der Hirnnetzwerke hin, sich zu synchronisieren.»

Die Rolle von Default-Mode-Netzwerken und des Kleinhirns

Das Bewusstsein wird im Allgemeinen mit neuronalen Netzwerken in Verbindung gebracht, die mit unseren Introspektionsprozessen, dem episodischen Gedächtnis und spontanen Gedanken verbunden sein können. «Wir sahen, dass das Netzwerk zwischen den vorderen und hinteren Regionen zusammenbrach, und dies wurde mit zunehmender Schlaftiefe immer ausgeprägter», sagt Van De Ville. «Ein ähnlicher Zusammenbruch der neuronalen Netzwerke wurde auch im Kleinhirn beobachtet, das typischerweise mit der motorischen Kontrolle in Verbindung gebracht wird.» Bis jetzt wissen die Forschenden nicht genau, warum dies geschieht. Aber ihre Ergebnisse sind ein erster Schritt zu einem besseren Verständnis unseres Bewusstseinszustandes während des Schlafes: «Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Bewusstsein das Ergebnis von Interaktionen zwischen verschiedenen Hirnregionen ist und nicht von lokalisierter Hirnaktivität», sagt Tarun. «Indem wir untersuchen, wie sich unser Bewusstseinszustand während verschiedener Schlafstadien verändert und was das für die Aktivität der Hirnnetzwerke bedeutet, können wir die grosse Bandbreite an Hirnfunktionen, die uns als Menschen charakterisieren, besser verstehen und erklären.»