Exotische Materie erstmals experimentell nachgewiesen

Exotische Atome, in denen Elektronen durch andere Teilchen ersetzt werden, ermöglichen tiefe Einblicke in die Quantenwelt. Nach acht Jahren gelang einer internationalen Gruppe von Forschenden an der Pionenquelle des PSI ein schwieriges Experiment: Sie schufen ein künstliches Atom, sogenanntes «pionisches Helium».
Künstlerische Darstellung von pionischem Helium im Laserlicht. Das Pion (dargestellt als bestehend aus je einem orangefarbenen und blauen Elementarteilchen, seinen beiden Quarks) ersetzt eines der beiden Elektronen im Heliumatom. Im Experiment wurde es mit Laserlicht (rot) angeregt. (Grafik: Max-Planck-Institut für Quantenoptik/Thorsten Naeser)

Ein herausforderndes Experiment mit Pionen, das das Potenzial hat, ein neues Forschungsfeld zu gründen, ist Forschenden nach acht Jahren geglückt. Es war ein wissenschaftlicher Marathonlauf, der durch eine internationale Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik MPQ, dem Paul Scherrer Institut PSI in der Schweiz und CERN, dem europäischen Teilchenforschungslaboratorium, möglich wurde.

Dem Team gelang es, erstmals direkt die Existenz von längerlebigen pionischen Heliumatomen nachzuweisen. In diesen ersetzt das Pion eines der beiden Elektronen des Heliumatoms. «Es ist eine Art chemischer Reaktion, die ganz automatisch passiert», erklärt Masakai Hori vom MPQ.

Für ihr Experiment kamen die Forschenden von MPQ und CERN ans PSI, um hier die stärkste Pionenquelle der Welt zu nutzen. «Nur hier hatten wir eine gute Chance, erfolgreich zu sein», sagt Anna Soter, die führend an dem Experiment beteiligt war. Anna Soter arbeitete am MPQ, seit 2017 am PSI und seit Anfang 2020 an der ETH Zürich.

Das pionische Helium war bereits 1964 theoretisch vorhergesagt worden, nachdem damalige Experimente Hinweise auf dessen Existenz zeigten. Es galt aber als extrem schwierig, diese Vorhersage experimentell zu beweisen. Das ohnehin schon extrem kurzlebige Pion zerfällt im Atom noch schneller, nämlich typischerweise innerhalb einer Pikosekunde, also einer billionstel Sekunde. Doch im pionischen Helium kann es gewissermassen konserviert werden und lebt dadurch tausend Mal länger als in anderen Atomen.

Der «rauchende Colt»

Die Herausforderung für das Team war, die tatsächliche Existenz eines solchen pionischen Heliums im Tank ihres Experiments, der mit extrem kaltem, suprafluidem Helium gefüllt war, nachzuweisen. Im Heliumatom verhält sich das Pion wie ein schweres Elektron. Es kann nur zwischen diskreten Quantenzuständen springen, wie zwischen Leiterstufen. Für den Nachweis musste die Gruppe einen langlebigen Zustand und einen speziellen Quantensprung finden, den sie mit einem Laser anregen und so das Pion in den Kern des Heliumatoms befördern konnte. Dieser Vorgang zerstört den Kern des Atoms, als Nachweis des Pions dienen dann die Trümmerteile des Atomkerns als eine Art «rauchender Colt». Allerdings konnten die Theoretiker nicht genau vorhersagen, bei welcher Lichtwellenlänge dieser entscheidende Quantensprung passieren würde. Also musste das Team drei komplexe Lasersysteme nacheinander aufbauen, bis es erfolgreich war.

«Mit unserem Experiment konnten wir beweisen, dass dieser Quantenzustand des pionischen Heliums existiert», freut sich Anna Soter. «Darüber war vorher nur spekuliert worden.» Dieses Ergebnis eröffnet nun die Möglichkeit, das Pion mittels Laserspektroskopie zu untersuchen – und damit insbesondere die Masse des Pions wesentlich genauer zu vermessen als bisher.

An dem Pion sind Forschende unter anderem deshalb interessiert, weil es helfen könnte, bisherige Unstimmigkeiten im Standardmodell der Teilchenphysik aufzuklären.

Neues Fenster in den Quantenkosmos

Das Pion gehören zur Teilchenfamilie der sogenannten Mesonen. Diese vermitteln auch die Kernkraft zwischen den Bausteinen der Atomkerne, den Neutronen und Protonen. Obwohl die elektrisch gleich geladenen Protonen sich heftig gegenseitig abstoßen, klammert die stärkere Kernkraft sie zum Atomkern zusammen. Ohne diese Kraft würde also unsere Welt nicht existieren. Von den Protonen und Neutronen, die jeweils aus drei Quarks aufgebaut sind, unterscheiden sich die Mesonen zudem grundsätzlich, denn sie bestehen aus zwei Quarks.

Text: Auf Grundlage einer Medienmitteilung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik mit Ergänzungen durch das Paul Scherrer Institut

Originalveröffentlichung

Laser spectroscopy of pionic helium atoms
M. Hori, H. Aghai-Khozani, A. Sótér, A. Dax, D. Barna
Nature, 6. Mai 2020 (online)
DOI: 10.1038/s41586-020-2240-x

Kontakt/Ansprechpartner

Dr. Anna Soter
HPK G 27, Otto-Stern-Weg 5, 8093 Zürich, Schweiz
Telefon: +41 44 633 06 73, E-Mail: asoter@ethz.ch [Englisch, Deutsch, Ungarisch]

Dr. Andreas Dax
Labor für Nichtlineare Optik
Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 44 72, E-Mail: andreas.dax@psi.ch [Deutsch, Englisch, Französisch]