Michael Hengartner erklärt einen Schweizer Forschungserfolg

Die Leber-Maschine

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Wie eine Schweizer Entwicklung für einen Durchbruch in der Transplantationsmedizin sorgt.
Michael Hengartner, Präsident des ETH-Rats. (Foto: ETH-Rat)

Bis Ende Januar war ich Rektor der Universität Zürich. Nach der Ankündigung meines Wechsels zum ETH-Rat wurde ich mehrmals gefragt, warum ich zur «Konkurrenz» wechseln wollte. Diese Frage hatte mich irritiert. Denn die Zukunft der Forschung liegt immer mehr in der Zusammenarbeit von ganz verschiedenen Fachrichtungen. Und hier ergänzen sich die beiden, sich in unmittelbarer Nähe befindenden, aber sehr unterschiedlich ausgerichteten Hochschulen nahezu perfekt. Sie sind zweifellos eine der Stärken des hiesigen Forschungsstandorts.

Ein Beispiel dafür: Kürzlich hat es ein Forscherteam geschafft, eine Spenderleber ausserhalb des Körpers während einer Woche am Leben zu erhalten. Eine neu entwickelte Maschine musste dazu den menschlichen Körper möglichst genau imitieren. Eine Pumpe in dieser Maschine ersetzte das Herz, eine Dialyseeinheit die Niere und so weiter. Die Maschine bewegte auch die Leber im Takt der menschlichen Atmung. Beim Menschen ist dafür das Zwerchfell zuständig.

Die Leber funktionierte einwandfrei.

Diese Maschine ist ein grosser Durchbruch in der Transplantationsmedizin. Noch bis vor wenigen Jahren überlebte eine Leber nur etwa 24 Stunden ausserhalb des menschlichen Körpers. Nun kann eine Spenderleber ohne Zeitdruck überprüft und sogar behandelt werden. Ist sie bei gutem Zustand, wird sie einem Patienten eingesetzt. Ist sie qualitativ nicht ganz genügend, kann sie zuerst behandelt werden. In der Schweiz warten zwei- bis dreimal so viele Leute auf eine Leber, wie es Spenderlebern gibt. Jede Leber zählt!

Nun, welche Forschungsrichtung steckte hinter diesem Durchbruch? Die beteiligten Forscherinnen und Forscher kamen aus ganz verschiedenen Disziplinen: Biologie, Medizin und Maschinenbau. Das Projekt entstand aus einer gemeinsamen Initiative zwischen Universitätsspital Zürich, Universität Zürich und ETH Zürich. Solche interdisziplinären Initiativen sind anspruchsvoll. Man ist so spezialisiert auf sein eigenes Thema, dass man zuerst lernen muss, das fachlich fremde Gegenüber überhaupt zu verstehen. Das ist wie bei einem interkulturellen Austausch zwischen Franzosen, Deutschen und Schweizern. Doch warum braucht es die verschiedenen Fachrichtungen? Ein Mediziner weiss, kranke von gesunden Lebern zu unterscheiden und kranke Menschen zu behandeln. Aber er oder sie kann natürlich keine Maschine bauen. Dafür gibt es die Maschinenbauer. Und die Biologen wissen genau, wie Organe, Zellen und Gewebe funktionieren. Jede Fachrichtung allein hätte es nicht geschafft, eine solche Maschine zu entwickeln. Das geht nur gemeinsam.

Mit dieser Maschine kann schon heute die Lebertransplantation verbessert werden. In Zukunft könnte vielleicht sogar ein gesunder Teil einer erkrankten Leber entnommen werden. Ausserhalb des Körpers könnte man sie wachsen lassen und danach wieder einsetzen. Damit wären sogar Patienten mit grossflächig beschädigten Lebern möglicherweise heilbar. Damit dieses Szenario Realität wird, ist aber weitere Forschung – interdisziplinäre Forschung – nötig.

Der Beitrag erschien ursprünglich im SonntagsBlick.