Covid-19: Verfolgung der Pandemie mithilfe von Abwasser

Forschende der EPFL haben in Zusammenarbeit mit der Eawag eine Methode zum Nachweis des neuartigen Coronavirus in Abwasserproben entwickelt. Ihre Methode wurde erfolgreich an Proben aus der ersten Phase der Pandemie getestet und ebnet damit den Weg für ein Frühwarnsystem.
© 2020 EPFL Alain Herzog / STEP Morges

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt untersuchen das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) aus vielen verschiedenen Perspektiven, um besser zu verstehen, wie es den Körper infiziert und sich von Mensch zu Mensch ausbreitet. Ziel ist es, Therapien zu finden, um es zu neutralisieren und zu eliminieren. Ein Ansatz, den die Forschenden der EPFL und der Eawag verfolgen – bis zur Entwicklung von medikamentösen Behandlungen und eines Impfstoffs – ist die Analyse von Abwasserproben, damit die Gesundheitsbehörden das Virus nachweisen können, bevor die Krankheit klinisch diagnostiziert wird. «Unsere Studie untersucht, wie wir das Virus im Abwasser nachweisen und seine Konzentration messen können, bevor die Menschen klinische Symptome entwickeln – und wie viel Zeit bis dahin vergeht", sagt Tamar Kohn, Leiterin des Labors für Umweltchemie (LCE) der EPFL.

Dank Christoph Ort von der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft der Eawag und Tim Julian von der Abteilung Umweltmikrobiologie der Eawag gelang es den Forschenden, in einem grossen Kraftakt zu zeigen, dass das neuartige Coronavirus innerhalb weniger Wochen im Abwasser nachgewiesen und gemessen werden kann. Die Forschenden analysierten Proben aus Lausanne, Zürich und Lugano – darunter auch Proben aus Zürich und Lugano, die Ende Februar gesammelt wurden, als die ersten Fälle in der Schweiz registriert wurden. «Als Spezialist für Umweltepidemiologie war ich bereit, an der Pandemie zu arbeiten, als sie zum ersten Mal in Italien auftrat», sagt Xavier Fernandez Cassi von der LCE. «Mir war klar, dass sich das Virus auf die Schweiz ausbreiten würde. Wenn man bedenkt, wie vernetzt die Länder heute sind, wäre ich überrascht gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre.»


© 2020 EPFL Alain Herzog / Xavier Fernandez Cassi hat seit Ende Februar Proben entnommen.

Die Forschenden fanden Spuren des Virus in allen von ihnen gesammelten Proben. Während die Konzentrationen in den neueren Proben so hoch waren, dass sie relativ einfach gemessen werden konnten, traf dies für die Proben vom Februar nicht zu. «Wir hatten nicht erwartet, in den Abwässern von Lugano – wo zu diesem Zeitpunkt nur ein Fall identifiziert worden war – und von Zürich, wo es sich nur um sechs identifizierte Fälle handelte, ein Signal zu finden», sagt Kohn. Sein Team ist auf die Entwicklung neuer Abwasserbehandlungsmethoden spezialisiert. Zusammen mit Kollegen der Eawag sammelten sie Proben von neun Kläranlagen im Tessin, zwei in Zürich und einer in Lausanne, was insgesamt rund 800 000 Stadtbewohnern entspricht.

Die möglichen Auswirkungen dieser Studie sind so wichtig, dass Cassi und Marie-Hélène Corre, eine weitere LCE-Biologin, eine Sondergenehmigung für die Arbeit in ihrem EPFL-Labor während des Lockdowns erhielten. Sie waren bei der Durchführung ihrer Experimente besonders effizient, da fast niemand sonst die Testgeräte benutzte, weil der Campus fast menschenleer war. Doch die Forschenden mussten besonders vorsichtig sein, denn das neuartige Coronavirus – auch wenn es aus einer bekannten Virusfamilie stammt – ist dennoch ein Zoonosevirus.«Das Hauptmerkmal dieses Virus ist, dass es eine Hülle hat – sein Viruskapsid ist von einer biologischen Membran umhüllt», sagt Corre. «Auch die Viren der saisonalen Grippe und HIV haben Hüllen.»


© 2020 Alain Herzog / Marie-Hélène Corre analysiert Proben aus Schweizer Kläranlagen.

Ziel: Frühwarnsystem

Die Proben, die seit der Meldung der ersten Fälle von Covid-19 in der Schweiz gesammelt wurden, sind wertvolle Archive. Das Hauptziel dieser Studie ist jedoch nicht die Rückverfolgung der Vergangenheit, sondern die Entwicklung eines Frühwarnsystems. Christoph Ort sagt: «Mit Proben von 20 grossen Kläranlagen schweizweit könnten wir die Abwässer von rund 2,5 Millionen Menschen überwachen.» Wenn die Proben schnell analysiert werden, könnte ein Wiederauftreten von Infektionen wahrscheinlich früher – etwa bis zu einer Woche früher – festgestellt werden, als das mit diagnostischen Tests möglich ist. Vor allem in der Zeit, in der die Sperre aufgehoben wird. Ort beschäftigt sich seit langem mit der abwasserbasierten Epidemiologie und konzentrierte sich früher auf Vergleiche des Drogenkonsums in ganz Europa. «Abwasser lügt nicht – es spiegelt das wieder, was eine Bevölkerung innerhalb weniger Stunden ausgeschieden hat», sagt er. Das Forschungsteam greift dabei auf seine etablierten Kontakte zu lokalen Regierungsbehörden und Kläranlagen zurück.

Verfolgung von Infektionstrends, nicht absolute Fallzahlen

Da es den Forschenden gelungen ist, niedrige Viruskonzentrationen im Frühstadium des Covid-19-Ausbruchs in der Schweiz erfolgreich nachzuweisen, sollten sie die Infektionskurve rekonstruieren können. Die Analyse der über 300 Proben, die derzeit bei der Eawag und der EPFL tiefgekühlt gelagert werden, wird aber noch einige Wochen in Anspruch nehmen. Die genaue Zahl der Infektionen werden sie anhand dieser Daten nicht berechnen können, da es zu grosse Unterschiede in der Menge des Virus bestehen, die jeder Patient abgibt. Es wird jedoch wichtig sein, den Trend zu verfolgen. Anhand von Proben, die im März und April in Lausanne gesammelt wurden, konnten die Forschenden zum Beispiel den Anstieg der Abwasserkonzentration von SARS-CoV-2 grob verfolgen. Kohn schätzt, dass die Konzentration um einen Faktor zwischen zehn und hundert gestiegen ist.


© 2020 Eawag, Andri Bryner / Tamar Kohn, EPFL, und Carola Bänziger, Eawag, (rechts).
Nach sorgfältiger Vorbereitung der Proben wird nach Informationen über die RNA des neuen Coronavirus gesucht.

Komplexes Verfahren

Trotz erster Erfolge der Forschenden müssen sie ihre Methode noch weiter verbessern. So wissen sie beispielsweise noch nicht, wie viel Prozent der Viruslast eines Patienten erfasst wird, wenn die RNA nach einer Reihe weiterer Schritte (Filtration und Zentrifugation) extrahiert wird. Auch beim anschliessenden selektiven Amplifikationsverfahren für die Zielsequenz gibt es grosse Unsicherheiten. Nur wenn der Grad der Unsicherheit reduziert wird, können nachvollziehbare und vergleichbare Schlussfolgerungen über die Viruskonzentrationen in den Originalproben gezogen werden.

Mehr Informationen

Verbreitung des Coronavirus über Wasser oder Abwasser unwahrscheinlich

Während genetisches Material des neuartigen Coronavirus im Abwasser nachgewiesen werden kann, gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass sich der Erreger über Wasser oder Abwasser verbreitet. Das Trinkwasser in der Schweiz hat eine ausgezeichnete mikrobiologische Qualität und bleibt auch während der Pandemie geniessbar.

Link

LCE

Ansprechpersonen

Sandy Evangelista, EPFL Mediacom
sandy.evangelista@epfl.ch
+41 79 502 81 06

Tamar Kohn, Direktorin des Labors für Umweltchemie (LCE)
tamar.kohn@epfl.ch
+41 21 693 08 91

Xavier Fernandez Cassi, Umweltmikrobiologe LCE
xavier.fernandez@epfl.ch
+41 21 693 0864

Marie-Hélène Corre, Biochemikerin LCE
marie-helene.corre@epfl.ch
+41 21 693 8036

Andri Bryner, Media Manager Eawag
andri.bryner@eawag.ch
+41 58 765 51 04

Pressemappe
go.epfl.ch/CoronavirusWastewater