Astrophysiker füllen Lücken in der Geschichte des Universums

Ein internationales Konsortium von Forschenden hat im Rahmen eines umfangreichen Programms kosmologischer Durchmusterung mehrere Millionen Galaxien und Quasare analysiert und damit eine lückenlosere Geschichte des Universums nachgezeichnet und ein besseres Verständnis der Mechanismen seiner Expansion ermöglicht. Die jüngste, sechs Jahre dauernde Durchmusterung mit dem Namen eBOSS wurde vom EPFL-Astrophysiker Jean-Paul Kneib initiiert und teilweise auch geleitet.
Jean-Paul Kneib, der den eBOSS-Teil des Sloan Digital Sky Survey initiierte und teilweise leitete. © 2020 EPFL / Alain Herzog

Es handelt sich um die grösste bisher erstellte 3D-Karte des Universums. Sie ist das Ergebnis einer zwanzigjährigen Zusammenarbeit von mehreren hundert Forschenden aus etwa dreissig verschiedenen Institutionen auf der ganzen Welt, die im «Sloan Digital Sky Survey» (SDSS) zusammengeschlossen sind, mit Daten, die von einem dem Projekt gewidmeten optischen Teleskop in New Mexico, USA, gesammelt wurden.

Diese neueste Kartierung des Nachthimmels, die heute in Form von mehr als zwanzig wissenschaftlichen Veröffentlichungen publiziert wurde, ist eine beispiellose und ehrgeizige astronomische Durchmusterung von 2014 bis 2020. Als Ergebnis der Analyse von mehreren Millionen Galaxien und Quasaren baut diese jüngste Durchmusterung auf bereits 1998 vorhandenen Daten auf, um bestimmte Lücken in der kosmologischen Geschichte zu schliessen und unser Verständnis der Mechanismen zu verbessern, die der Expansion des Universums zugrunde liegen.

Die EPFL ist direkt an diesem wichtigen Projekt beteiligt. Diese jüngste kosmologische Durchmusterung des SDSS, genannt «The extended Baryon Oscillation Spectroscopic Survey» (eBOSS), umfasst mehr als 100 Astrophysikerinnen und -physiker, von denen mehrere Forschende der EPFL sind. Jean-Paul Kneib, Leiter des Astrophysik-Labors (LASTRO) der EPFL, initiierte die eBOSS-Studie und war während mehrerer Jahre ihr Hauptforscher (PI).

«Im Jahr 2012 startete ich das eBOSS-Projekt mit der Idee, die vollständigste 3D-Karte des Universums während der gesamten Lebensdauer des Universums zu erstellen und dabei zum ersten Mal Himmelsobjekte zu verwenden, die die Verteilung der Materie im fernen Universum anzeigen, Galaxien, die aktiv Sterne und Quasare bilden», berichtet Jean-Paul Kneib. «Es ist eine grosse Freude, heute den Höhepunkt dieser Arbeit zu sehen.»

Dank der umfangreichen theoretischen Modelle, die das Universum nach dem Urknall beschreiben, sowie der Beobachtung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMBR) sind die jüngeren Jahre des Universums relativ gut bekannt. Wissenschaftler haben auch seine Ausdehnungsgeschichte in den letzten paar Milliarden Jahren anhand von Supernovae-Entfernungsmessungen und Galaxienkarten, einschliesslich derer aus früheren Phasen der SDSS, untersucht. «Wir kennen sowohl die alte Geschichte des Universums als auch seine jüngste Ausdehnungsgeschichte ziemlich gut, aber es gibt eine lästige Lücke in den mittleren 11 Milliarden Jahren», sagt der Kosmologe Kyle Dawson von der University of Utah, einer der Projektleiter. «Dank fünf Jahren kontinuierlicher Beobachtungen haben wir daran gearbeitet, diese Lücke zu füllen, und wir nutzen diese Informationen, um einige der substanziellsten Fortschritte in der Kosmologie im letzten Jahrzehnt zu erzielen.»

«Die detaillierten Analysen der eBOSS-Studie ergeben zusammen mit den früheren SDSS-Experimenten nun die genauesten Messungen der Expansionsgeschichte und über den längsten kosmischen Zeitraum», sagt Will Percival von der Universität Waterloo, ein an eBOSS beteiligter Forscher. «Diese Studien erlauben es uns, all diese Messungen zu einer vollständigen Geschichte der Expansion des Universums zu verbinden.»

Die fertiggestellte Karte zeigt Materiefäden und Hohlräume, die die Struktur des Universums seit seinen Anfängen, als es erst 380 000 Jahre alt war, genauer definieren. Von dort aus haben die Forschenden die wiederkehrenden Muster in der Verteilung der Galaxien gemessen und so mehrere kosmologische Schlüsselparameter, darunter die Dichte der hypothetischen dunklen Materie und Energie im Universum, mit hoher Präzision identifiziert.

Zur Durchführung dieser Durchmusterung untersuchten die am eBOSS-Projekt beteiligten Teams verschiedene galaktische Tracer, die die Massenverteilung im Universum aufzeigen. Für den Teil der Karte, der sich auf das Universum vor sechs Milliarden Jahren bezieht, haben die Forschenden die ältesten und rötesten Galaxien beobachtet. Für weiter entfernte Zeitalter konzentrierten sie sich auf die jüngsten Galaxien, die blauen Galaxien. Um weiter zurückzugehen, d.h. bis zu elf Milliarden Jahre, benutzten sie Quasare, Galaxien, deren supermassives Schwarzes Loch extrem hell ist.

Langsamere Ausdehnung?

Diese Karte zeigt die Geschichte des Universums und insbesondere, dass sich die Expansion des Universums irgendwann zu beschleunigen begann und seither immer weiter voranschreitet. Dies scheint auf das Vorhandensein dunkler Energie zurückzuführen zu sein, ein unsichtbares Element, das natürlich in Einsteins allgemeine Relativitätstheorie passt, dessen Ursprung aber noch nicht verstanden ist.

Vergleicht man eBOSS-Beobachtungen mit Studien aus der Frühzeit des Universums, so zeigen sich Diskrepanzen bei den Schätzungen der Expansionsrate des Universums. Die derzeit akzeptierte Expansionsrate, die als «Hubble-Konstante» bezeichnet wird, ist 10% langsamer als der Wert, der aus den Entfernungen zwischen den uns am nächsten liegenden Galaxien berechnet wird. Es ist unwahrscheinlich, dass diese 10%ige Differenz aufgrund der hohen Präzision und der großen Vielfalt der Daten in der eBOSS-Datenbank zufällig ist.

Bis heute gibt es keine allgemein akzeptierte Erklärung für diese Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Schätzungen der Expansionsgeschwindigkeit, aber die Tatsache, dass eine noch unbekannte Form von Materie oder Energie aus dem frühen Universum Spuren in unserer Geschichte hinterlassen haben könnte, ist eine interessante Möglichkeit.