Andreas Burg: Meister der unvollkommenen Chips

Sommer-Serie: Wissenschaft als Berufung. Andreas Burg ist Leiter des Labors für Telekommunikationsschaltungen (TCL) der EPFL. Er ist ein eifriger Befürworter des approximativen Computings, eines disziplinierten Ansatzes, der «gut genug» über Perfektion stellt.
«Ich habe schon immer sehr gerne mit Schaltkreisen gespielt», sagt Andreas Burg. ©Alain Herzog/ 2020 EPFL

Fragen Sie Wissenschaftler, was ihnen wichtig ist, werden die meisten antworten, dass sie nach Perfektion streben, hohe Qualitätsstandards setzen und ungefähre Lösungen ablehnen. Doch Andreas Burg, ausserordentlicher Professor für Elektrotechnik und Elektronik, passt nicht in dieses Schema. Für Burg genügt «gut genug». Seine Einstellung ist vielleicht überraschend, wenn auch nicht unbedingt schlecht, wenn man bedenkt, dass er an fehleranfälligen Chips arbeitet – den empfindlichsten Komponenten moderner elektronischer Geräte. Seine Haltung steht im Widerspruch zum konventionellen Denken in der Elektronik, einer Disziplin, die normalerweise mit Präzision assoziiert wird. Aber während seiner zehnjährigen Karriere an der EPFL hat er sich ein solides Fachwissen angeeignet und ist zu einem gefragten Experten auf dem schnell wachsenden Gebiet des approximativen Computings geworden.

«Wie jeder Wissenschaftler wurde mir beigebracht, das Schlimmste anzunehmen und nach gleichbleibender Qualität zu streben», sagt Burg. «Aber ich habe einen anderen Weg gewählt. Für mich müssen die Dinge nicht jedes Mal perfekt sein. Es muss einen Kompromiss zwischen Perfektion und anderen Aspekten wie der Energieeffizienz geben. Stellen Sie sich vor, Sie parken Ihr Auto und machen detaillierte Berechnungen, um herauszufinden, welche Flugbahn den verfügbaren Platz am besten nutzt. Das wäre ein zeitraubender Prozess. Nun stellen Sie sich vor, wie viel Zeit Sie sparen würden, wenn Sie einfach auf den Parkplatz fahren, ohne zu viel darüber nachzudenken.»

Dasselbe Prinzip gilt in der Elektronik. «Manchmal ist gut genug das, was wir brauchen», sagt Burg. «Stellen Sie sich vor, Sie sehen ein Video auf Ihrem Smartphone, aber Ihr Akku ist leer. Sie wären sehr froh, wenn Sie auf die Streaming-Qualität verzichten könnten, wenn Sie damit Energie sparen und die Batterielaufzeit schonen würden.» Unvollkommenheit zu akzeptieren bedeutet auch, kleinere Fehler, Verzögerungen und Fehlfunktionen in Kauf zu nehmen, solange das Gerät die Aufgabe erfüllt, für die es entwickelt wurde.

Fernsehtüftler

Burg mag Fehler als Teil seiner Arbeit akzeptieren, aber er scheint nicht viele davon in seiner Karriere gemacht zu haben. Aufgewachsen in Deutschland war er von klein auf von der Elektronik fasziniert. Als selbstbewusster Freidenker zog er im zarten Alter von 16 Jahren nach Zürich. Und seitdem hat er jede Chance ergriffen, die sich ihm bot. «Ich habe schon immer sehr gerne mit Schaltkreisen gespielt», sagt er. «Ich erinnere mich, dass ich zwei alte Fernseher fand, sie auseinander nahm und versuchte, sie wieder zusammenzubauen.» Als die Zeit kam, an die Uni zu gehen, konnte er sich nicht zwischen Elektrotechnik und Physik entscheiden. Also schrieb er sich für beide an der ETH Zürich ein. «An meinem ersten Tag entschied ich mich, meine Elektrotechnik-Vorlesung zu besuchen», erinnert er sich, «ich fand sie praktischer als Physik, also blieb ich dabei.»

Diese Entscheidung prägte die Richtung seiner Karriere, aber sie verlief nicht immer reibungslos. «Ich brauchte sechs Jahre, um meine Dissertation abzuschliessen», erklärt er. «Nicht, weil ich faul war, sondern weil ich an so vielen Dingen gleichzeitig arbeitete – Kommunikation, Kryptographie, Bild- und Videoverarbeitung und andere Dinge. Das meiste dieser Forschung fand keinen Eingang in meine Dissertation, aber es war trotzdem faszinierend. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich an der Universität bleiben und mir die Freiheit bewahren wollte, andere Aspekte des von mir gewählten Fachgebiets zu erforschen.»

Nach Abschluss seines Postdocs stand Burg vor einer weiteren Entscheidung: im akademischen Bereich bleiben oder eine Karriere in der Industrie einschlagen. Er gründete mit zwei Kollegen ein Startup und gab sich selbst zwei Jahre Zeit, um es zum Erfolg zu führen. «Es hat nicht geklappt», erklärt er, «nach zwei Jahren ging uns das Geld aus. Wir gründeten die Firma, um WiFi-Chips zu entwickeln. Wir waren Pioniere, aber wir standen in einem harten Wettbewerb. Wir erkannten, dass man mehr als einen Chip braucht, um ein erfolgreiches Geschäft aufzubauen. Es war trotzdem eine lohnende Erfahrung. Ich habe sehr viel gelernt, und ich bereue es nicht.»

Unbeeindruckt von diesem Rückschlag bewarb sich Burg und erhielt 2009 eine Professur beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Zwei Jahre später schrieb die EPFL eine freie Stelle aus für eine Tenure-Track-Professur für Telekommunikationsschaltungen. «In meinem Labor lief es gut, aber ich war seit 15 Jahren an der ETH Zürich. Ich wäre gerne in die USA gezogen, aber ich hatte das Glück, die Stelle an der EPFL zu bekommen», sagt er.

Forschung in radikal neue Richtungen

Burg ist bekannt für sein radikales Denken und dafür, dass er gleich mehrere Projekte auf einmal in Angriff nimmt. Er ist sehr daran interessiert, neue Ideen auszutauschen und sie in seinem Labor zu testen. Aber auch, keine Ressourcen zu verschwenden. Ideen mit einer geringen Erfolgschance werden schnell wieder verworfen, und nur vielversprechende Konzepte erhalten zusätzliche Zeit. Er verfolgt einen stetigen, iterativen Ansatz für seine Forschung, einschliesslich der Veröffentlichung von Arbeiten. Sein Hauptforschungsinteresse, integrierte Schaltkreise, entwickelte er während seiner Tenure-Track-Zeit. Aber er hat immer noch eine Leidenschaft für andere, verwandte Themen. Ausserhalb des Labors gewinnt das Konzept des approximativen Rechnens in der Industrie immer mehr an Boden. «Am Anfang gab es viel Widerstand gegen das Konzept. Mit der Zeit haben wir viel über die Bedenken der Industrie gelernt. Manchmal geht es zwei Schritte vorwärts und einen Schritt rückwärts, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung», so Burg.

Seine Ernennung zum ausserordentlichen Professor hat ihm mehr Freiheit gegeben. «Ich kann in meiner Forschung radikaler sein und mehr Risiken eingehen», sagt Burg. Sein Ziel ist es, Kommunikation und künstliche Intelligenz zu kombinieren. «Bei der Kommunikation geht es um Gleichungen und mathematische Problemlösungen», erklärt er. «Sobald man KI in die Mischung einführt, kann man damit beginnen, diese Probleme auch intuitiv zu lösen.»

Burg plant auch, seine Forschung über unvollkommene Chips auf die nächste Stufe zu heben. «Wir haben Konzepte entwickelt und vorhergesagt, wie die Chips funktionieren werden. Der nächste Schritt besteht darin, diese Ideen vom Reissbrett zu nehmen und tatsächlich unsere eigenen Chips zu bauen. Unsere ersten Entwürfe waren relativ unkompliziert. Jetzt können wir es uns leisten, etwas abenteuerlicher zu sein. Die EPFL ist der perfekte Ort, um die Grenzen zu erweitern.»

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Biografie

1975: geboren in München
2000: Abschluss des Ingenieurstudiums an der ETH Zürich
2006: Abschluss des Doktorats an der ETH Zürich
2007: Mitbegründer des ETH-Spin-offs Celestrius
2009: erhält eine SNF-Assistenzprofessur
2011: Ernennung zum Tenure-Track-Professor an der EPFL
2018: Ernennung zum ausserordentlichen Professor an der EPFL

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Telecommunications Circuits Lab