Einen Schritt weiter bei der Kartierung des Nagetiergehirns

Die Bildung des Hippocampus bei Nagetieren ist eine der am gründlichsten untersuchten Regionen im Säugetiergehirn, aber bis jetzt gab es noch keine umfassende Wissensbasis über seine synaptische Physiologie. In einem Leitartikel im Journal Hippocampus präsentieren Forschende des Blue Brain Project der EPFL einen datengestützten Ansatz zur Integration des aktuellen Wissensstandes über die CA1-Region des Hippocampus unter Zuhilfenahme einer umfassenden Open-Access-Ressource.
© 2020 Blue Brain Project / EPFL

Der Hippocampus in Form eines Seepferdchens ist ein Hauptbestandteil des Säugetiergehirns, das eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung von Informationen vom Kurzzeitgedächtnis zum Langzeitgedächtnis und beim räumlichen Gedächtnis spielt, das die Navigation ermöglicht. Der in dieser Arbeit als Ressource vorgestellte Rahmen ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einem detaillierten Bottom-up-Modell des Hippocampus von Säugetieren. Dieser Rahmen könnte eine Plattform bieten, die nicht nur die Integration ungleichartiger Datensätze ermöglicht, sondern auch einen gemeinschaftlichen Konsens über die synaptische Organisation der Hippocampusformation katalysiert.

Die bisher engste Annäherung von kortikalem Gewebe auf zellulärer und synaptischer Ebene in einem Modell ist die biologisch detaillierte digitale Rekonstruktion der neokortikalen Mikroschaltkreise der Ratte durch das Blue Brain Project (Markram*, Muller*, Ramaswamy*, Reimann* et al. 2015). Dieses Computermodell bot den Forschenden die optimale Plattform, um zu zeigen, dass ein datengesteuerter Arbeitsablauf, der auf biologischen Grundprinzipien beruht und mit dessen Hilfe ein biologisch detailliertes Modell des neokortikalen Gewebes von Ratten erstellt wurde, auf andere Hirnregionen wie den Hippocampus ausgedehnt werden kann.

In diesem Fall, durch die Erweiterung des für den Neokortex entwickelten Rahmens auf den Hippokampus, gleicht die Methode unterschiedliche zelluläre und synaptische Daten ab, extrapoliert aus dem spärlichen Satz experimentell gewonnener Parameter und sagt Wissenslücken voraus. Daher könnten die kuratierten und vorhergesagten Parameter als Ressource zur Modellierung der synaptischen Physiologie des Hippocampus dienen.

Aufbau der 'in silico' Datenintegrationspipeline

«Mit der detaillierten Darstellung aller Integrationsschritte in dieser Studie verfolgten wir zwei Hauptziele», erklärt der Blue Brain-Doktorand und Hauptautor der Arbeit, András Ecker. «Erstens wollten wir zeigen, dass veröffentlichte Parameter nicht für bare Münze genommen werden sollten, ohne ihre Konsistenz innerhalb eines Modellierungsrahmens und die Notwendigkeit, mit den modernsten experimentellen Techniken auf dem Laufenden zu sein, rigoros zu überprüfen. Zweitens wollten wir die Tatsache hervorheben, dass eine wachsende Vielfalt an experimentellen Standards in Verbindung mit publizierter Literatur, die nur Zugang zu verarbeiteten Datensätzen, nicht aber zu rohen Forschungsdaten bietet, zu einem inkonsistenten Bild eines grundlegenden Mechanismus wie der synaptischen Übertragung führen könnte.»

Diese Studie ist Teil eines gesamteuropäischen Konsortiums zur Erstellung eines detaillierten Modells des Hippocampus von Nagetieren, das zwischen dem Blue Brain Project der EPFL und Instituten in Ungarn, Italien und Grossbritannien angesiedelt ist. Durch die Bereitstellung einer umfassenden Ressource über Synapsen ergänzt dieses Paper eine kürzlich vom gleichen Konsortium durchgeführte Studie über elektrische Modelle von Nervenzellen des Hippocampus und ebnet den Weg für ein gross angelegtes Modell des Hippocampus von Nagetieren.

Ein Schritt näher an der Kartierung des Nagetiergehirns

«Dieser Meilenstein ist wichtig für das Blue BraincProject, weil er zeigt, dass die Prozesse und Algorithmen, die wir für den Neokortex entwickelt hatten, mit einer gewissen Anpassung auch für andere Hirnregionen funktionieren», erklärt Dr. Srikanth Ramaswamy, Leiter der Blue Brain Group und Seniorautor des Papers. Für den Gründer und Direktor von Blue Brain, Prof. Henry Markram, stellt dieser Meilenstein «einen kleinen, aber wichtigen Schritt auf dem Weg zur digitalen Rekonstruktion des gesamten Nagergehirns» dar.

© 2020 Blue Brain Project/EPFL

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Blue Brain Project

Finanzierung

Diese Studie wurde vom ETH-Rat durch die Finanzierung des Blue Brain Project, einem Forschungszentrum der EPFL, unterstützt. Weitere Finanzierung wurde vom Human Brain Project durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union (7. FRP/2007-2013) unter der Förderungsnummer 604102 (HBP) sowie durch das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation «Horizon 2020» der Europäischen Union unter den spezifischen Förderungsvereinbarungen Nr. 720270 (Human Brain Project SGA1) und Nr. 785907 (Human Brain Project SGA2) bereitgestellt. Der Supercomputer Blue Brain 5 (System HPE SGI 8600) wird aus Mitteln des ETH-Rats für das Blue Brain Project als Nationale Forschungsinfrastruktur finanziert und am Swiss National Supercomputing Center (CSCS) in Lugano betrieben. Gekoppelte Aufnahmen und Rekonstruktionen aus dem Labor von Alex Thomson wurden auch vom Medical Research Council, dem Wellcome Trust und Novartis Pharma unterstützt. Sara Saray wurde auch vom ÚNKP-19-3-III New National Excellence Program des Ministeriums für Innovation und Technologie der Europäischen Union unterstützt, das vom Europäischen Sozialfonds kofinanziert wurde (EFOP-3.6.3-VEKOP-16-2017-00002).

Literaturhinweise

Link zur Studie: http://dx.doi.org/10.1002/hipo.23220

Ecker. A., Romani, A., Sáray, S., Káli, S., Migliore, M., Falck, J., Lange, S., Mercer. A., Thomson, A.M., Muller, E., Reimann, M.W., Ramaswamy, S. Data‐driven integration of hippocampal CA1 synaptic physiology in silico. Wiley, Hippocampus (2020).