Ungleiche Erforschung von Ressourcen aus dem Meer
Die eben in der Zeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlichte Studie ist brisant. Denn sie weist nach, wie kolonial die globalisierte Forschergemeinschaft immer noch ist. Das Team mit ehemaligen und aktuellen Forschenden der Eawag hat dazu die Literatur zu Ressourcen aus den Weltmeeren über die letzten 50 Jahre analysiert: Über die Hälfte der nahezu 10’000 Studien stammt aus nur einer Hand voll Ländern des reichen Nordens (USA, Japan, Australien – und neu: China). Dies obwohl die beschriebenen Ressourcen aus der marinen Umwelt – etwa für die Pharmazie, Kosmetik- oder Lebensmittelindustrie – oft aus Küstenstaaten des globalen Südens stammen, zum Beispiel aus afrikanischen Ländern oder Indonesien.
Biodiversitätskonvention wirkt sehr langsam
«Der Schluss liegt nahe, dass nicht nur der wissenschaftliche Ruhm, sondern auch Profite aus der Nutzung der beschriebenen Ressourcen ungleich verteilt sind», sagt Co-Autor Moritz Lürig von der Eawag. Enttäuschend, so der Forscher, sei dieser Befund vor allem deswegen, da man diesem Umstand schon seit langer Zeit entgegenwirken will. 1993 – im Anschluss an die UNO Konferenz von Rio – ist exakt dazu die Biodiversitätskonvention (CBD) mit dem Protokoll von Nagoya beschlossen worden. Sie soll einen fairen Zugang zu genetischen Ressourcen schaffen und «die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenen Vorteile» sichern. Bis heute sind 193 Vertragsstaaten der Konvention beigetreten. Die Schweiz hat die Konvention 1994 ratifiziert.
Obwohl die Vielfalt an Herkunftsländern der Publikationen seit dem Inkrafttreten der Biodiversitätskonvention zugenommen hat, dominieren immer noch wenige Länder. «Der Trend ändert sich leider nur sehr, sehr langsam», sagt Lürig, «es sind zusätzliche Massnahmen nötig, damit am Ende die Vorteile – zum Beispiel aus der maritimen Arzneimittelforschung – fairer um den ganzen Globus verteilt werden.»
Parallelen zu anderen Forschungsfeldern?
Das klassische Muster in der Wissenschaft: «Der reiche Westen geht voran, der Rest folgt nach», scheint also immer noch tief verwurzelt. Die vom Forscherteam um Miguel Leal von der Universität im portugiesischen Aveiro gewählte Methodik mit der Analyse von Publikationen könnte auch für andere Forschungsfelder Aufschluss geben, wie fair oder eben unfair die internationale Wissenschaftsgemeinschaft funktioniert. Einen Vorschlag zur Verbesserung hat Aveiros Kollege Lürig bereits: «Wir sollten mehr darüber nachdenken, wie alle Partner in der Forschung zu etablierten Wissenschaftlern werden und dann eigenständig Forschung zu Gunsten ihrer Gesellschaft betreiben können.» Dies bedeute auch gängige Praktiken zur (Ko)-Autorenschaft zu hinterfragen, vor allem bei wissenschaftlichen Kooperationen zwischen globalem Norden und Süden.