Der neue Modus der Klimapolitik

Das Leitprinzip der globalen Klimapolitik ändert sich von Misstrauen zu Kooperation, sagt Anthony Patt. Die Antwort der Länder auf die Corona-Pandemie kann helfen, das zu illustrieren.
Lokal agieren, global profitieren: Beim Klimaschutz arbeiten Länder zusehends zusammen. (Illustration: elenabs/iStock)

Es herrscht ein Missverständnis um die Bedeutung der globalen Klimaverhandlungen. Viele Menschen haben den Eindruck, dass alle wichtigen Entscheidungen zum Klima auf globaler Ebene getroffen werden, und dass ihr eigenes Land eine untergeordnete Rolle spielt. Das Gegenteil ist der Fall.

Von Kyoto nach Paris

Die Geschichte der globalen Klimapolitik reicht 30 Jahre zurück. 1992 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen. 1997 folgte das erste Unterabkommen, das Kyoto-Protokoll. Die Leitannahme für Kyoto war, dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen kostet und kein Land freiwillig dafür zahlen will, wenn die anderen dies nicht ebenfalls tun

Die Unterhändler strukturierten das Kyoto-Protokoll daher um verbindliche nationale Reduktionsziele von rund fünf Prozent für zehn Jahre. Sie führten ein Sanktionssystem ein für Ländern, die ihre Verpflichtungen nicht erfüllen. Zudem errichteten sie Kohlenstoffmärkte, um Emissionen günstig zu senken. Entwicklungsländer hatten keine Verpflichtungen – ihre Emissionen waren damals gering.

Nach der ersten Reduktionsrunde einigten sich die Unterhändler 2012 nach langen Verhandlungen auf eine zweite Periode mit Verpflichtungen. Unterdessen waren die Emissionen der Entwicklungsländer erheblich gestiegen, und man erkannte, dass der weltweite CO2-Ausstoss langfristig vollständig auf null sinken muss. Der Prozess gerieten ins Stocken, weil ärmere Länder keine verbindlichen Ziele wollten und reichere dies nicht akzeptierten.

Vom Regime zum Übereinkommen

Also begannen die Verhandlungen von vorn. 2015 lag ein gänzlich anderer Vertrag auf den Tisch: das Pariser Abkommen. Darin verpflichten sich alle Länder, nationale Reduktionsziele festzulegen und diese alle fünf Jahre zu aktualisieren – die Höhe der Ziele können die Länder selber bestimmen. Erreicht ein Land sein Ziel nicht, wird es nicht bestraft. Alle Nationen sind jedoch angehalten, Daten zu Emissionen, Reduktionsmassnahmen und Klimainvestitionen auszutauschen. Wohlhabende Länder verpflichten sich, ärmere Länder finanziell und technisch zu unterstützen.

Im Rahmen unserer Arbeit für den Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) haben Kollegen und ich Hunderte Studien zur internationalen Zusammenarbeit unter dem Pariser Abkommen zusammengetragen. Viele davon sind sehr kritisch: Wo sind die verbindlichen Ziele? Wie verhindert man Trittbrettfahrer? Wo ist der globale Kohlenstoffmarkt? Andere hingegen sehen im Pariser Abkommen einen Schritt nach vorn. Auch ich. Um zu erklären warum, kann ein Blick auf die globale Antwort auf die Coronakrise helfen.

Kooperation als logische Konsequenz

Zum Zeitpunkt, an dem ich dies schreibe, haben fast alle wohlhabenden Länder die Sterblichkeitsrate von COVID-19 gegenüber der ersten Welle weitgehend gesenkt, wenn gleich die steigenden Fallzahlen eine zweite Welle ankündigen. Die wirtschaftliche Kosten des Lockdowns waren hoch, aber die Länder ergriffen dieses Massnahmen bewusst, weil die wirtschaftlichen und humanitären Kosten sonst noch viel höher gewesen wären.

Es gab keinen übergeordneten Vertrag, der sie zu solchen Massnahmen verpflichtete. Das war auch nicht nötig, denn jedes Land hat einen Anreiz, das Virus zu bekämpfen, unabhängig davon, was andere Länder tun. Zusehends begannen sie, zu kooperieren. Rasch wurden Fallzahlen und medizinische Best Practices ausgetauscht. Reichere Staaten unterstützen ärmere mit medizinischen Hilfsgütern. Kürzlich hat die Weltbank ein Programm lanciert, um erwartete Impfstoffe zu verteilen. Die Motivation für all das lautet schlicht: Je schneller wir die Krise weltweit bewältigen, desto besser ist es für uns alle.

Neue Voraussetzungen

Ich sehe Ähnlichkeiten zum Klimawandel. Seit Kyoto haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen verändert. Viele Staaten haben massiv in Erneuerbare Energien investiert, und das trägt Früchte: Die Kosten dieser Technologien sind stark gesunken.

«So wie die Länder Corona bekämpfen, so wollen sie auch ihre Emissionen senken – aber viele brauchen Hilfe. Es liegt in unserem Interesse, dass sie diese bekommen.»      Anthony Patt

So sind etwa die Gesamtkosten für den Besitz und das Fahren eines mit erneuerbarer Elektrizität betriebenen Autos heute oft niedriger als bei einem das mit Benzin oder Diesel fährt.1 In immer mehr Fällen spart der Umstieg auf CO2-freie Energiequellen Geld, selbst wenn man die Kosten für eine neue Infrastruktur berücksichtigt.2 In den meisten wohlhabenden Ländern sind die Emissionen im Begriff zu sinken; ich bin optimistisch, dass sich dieser Trend mit neuen wirksamen Massnahmen beschleunigen sollte.

In ärmeren Ländern hingegen steigen die Emissionen noch. Oft fehlen ihnen die finanziellen, technischen und Governance-Kapazitäten, um ihre Industrien umzustrukturieren. So wie Länder das Coronavirus eindämmen wollen, so wollen sie auch ihre Emissionen reduzieren, aber viele von ihnen brauchen Hilfe. Es liegt in unserem Interesse, dass sie sie bekommen. Das Pariser Abkommen antwortet darauf,

Was zählt ist hier und jetzt

Jedes Jahr um diese Zeit findet irgendwo auf der Welt die UN-Klimakonferenz statt – dieses Jahr in Glasgow, doch das Treffen wurde wegen Corona verschoben. Viele erachten diese Verhandlungen als entscheidend für den Klimaschutz. Tatsächlich wurde das letzte Mal vor fast einem Jahrzehnt über Ausmass von Emissionsreduktionen gestritten.

Seither geht es bei diesen Verhandlungen fast nur noch darum, wie sich Länder gegenseitig helfen können. Heute sind die wirtschaftlichen und politischen Kräfte für Klimaschutz in jedem einzelnen Land schlicht stärker, als sie es in den Verhandlungshallen der Vereinten Nationen je sein konnten. Nun müssen diese Kräfte intensiv wirken, wollen wir das Pariser Klimaziel noch erreichen.

Anthony Patt ist koordinierender Leitautor für den Bereich Internationale Zusammenarbeit beim Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).