Plattformen für partizipative Demokratie gewinnen in der Schweiz an Bedeutung

Eine erste Umfrage von Forschern der EPFL hat ergeben, dass lokale und regionale Regierungen zunehmend auf digitale Technologien zurückgreifen, um die Meinung ihrer Bürger zu verstehen, insbesondere was Planungs- und Entwicklungsvorschläge angeht.
Von links nach rechts: Guillaume Drevon, Vincent Kaufmann und Armelle Hausser vom Laboratoire de sociologie urbaine. © Alain Herzog / EPFL

Schweizer Behörden machen sich Civic Technology zu eigen. Dies ist eines der Hauptergebnisse des ersten Civic Tech Barometers, einer Umfrage, die von Forschern des Labors für Stadtsoziologie der EPFL (LaSUR) in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Beratung und Kommunikation des Kantons Genf durchgeführt wurde. Die Schlussfolgerungen des Teams basieren auf den Antworten auf eine Online-Umfrage, die zwischen August und November 2019 landesweit an städtische, städtische und kantonale Behörden geschickt wurde. Insgesamt haben 83 Regierungsangestellte aus der französischen, deutschen und italienischen Schweiz geantwortet.


Die Idee hinter der Civic Technology, oder Civic Tech, ist es, die Art und Weise zu verändern, wie Bürger an demokratischen Prozessen teilnehmen. Die LaSUR-Umfrage hat ergeben, dass die schweizerische Bürgertechnologie-Landschaft bei weitem nicht einheitlich ist. Zu den gängigsten Plattformtypen gehören Websites, Blogs, offene Datenspeicher, soziale Medien, partizipatorische Räume, in denen Bürger Ideen und Vorschläge einreichen können, sowie offene Foren für Diskussionen und Debatten. Doch die Hälfte der von den Befragten genannten Technologien sind nicht wirklich partizipatorisch, da sie eher für die Einweg-Kommunikation als für die Zweiweg-Interaktion konzipiert sind.


Die Umfrage ergab jedoch eine Handvoll weiterer kollaborativer Plattformen, darunter Crossiety (genannt "digitaler Dorfplatz") und Decidim. Bei einer solchen Vielfalt an Optionen können die Regierungen frei wählen, wie sie die Bürger in den Entscheidungsprozess einbeziehen wollen.


Planung ist führend
"Die Schweizer Behörden setzen Civic Tech in einem breiten Spektrum von Politikbereichen ein", sagt Armelle Hausser, Doktorandin am LaSUR, die die Umfrage im Rahmen ihrer Doktorarbeit durchgeführt hat. "Dazu gehören vor allem die Bereiche Planung und Entwicklung, Jugendhilfe, Sport, Umwelt und soziales Handeln. In den meisten Fällen sind die lokalen Exekutivorgane die treibende Kraft hinter der Nutzung von Bürgertechnologien - und gesetzliche Bestimmungen haben wenig bis gar keinen Einfluss auf solche Initiativen. Tatsächlich wurde nur ein Drittel der von den Befragten angegebenen Plattformen und Technologien entwickelt, um einer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen.


Umgekehrt fordern andere interessierte Parteien - wie Projekt- und Abteilungsleiter, Bürgerinitiativen, Wohltätigkeitsorganisationen und gemeinnützige Organisationen - nur selten den Einsatz von "civic tech" in Konsultations- und Beteiligungsprozessen. "Dieser Befund ist kontra-intuitiv", sagt Professor Vincent Kaufmann, der das LaSUR leitet. "Er legt nahe, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz ihre Meinung immer noch lieber auf konventionellem Wege äußern, beispielsweise durch Einwände gegen Planungsvorschläge oder durch die Teilnahme an Volksinitiativen und Referenden.


Begrenzte Ressourcen
Das Team stellte auch fest, dass die lokalen Regierungen derzeit nur wenig finanzielle und personelle Ressourcen für zivilgesellschaftliche Technologieinitiativen bereitstellen und es in den meisten Fällen vorziehen, den Prozess an externe Anbieter auszulagern. "Die Behörden haben noch keine klare Vorstellung von den Rollen und Fähigkeiten, die für diese Art von Initiative erforderlich sind", erklärt Hausser. Dennoch waren die Erwartungen der Befragten hoch, die angaben, dass sie planen, zivile Technologie zu nutzen, um mehr Informationen für den öffentlichen Verbrauch zu produzieren, die Bürger besser zu informieren und ihre Ansichten zu verstehen, die Transparenz zu verbessern, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu sichern und die Beteiligung im Allgemeinen zu erweitern.


"Es gibt viele andere Pläne, darunter Online-Umfragen und partizipative Kartierungsplattformen", fügt Hausser hinzu. "In Bezug auf die Technologietypen scheint sich eine generelle Bewegungsrichtung abzuzeichnen. Aber wir müssen die Umfrage noch einmal durchführen, um wirklich sicher zu gehen". Sicher ist, dass Schweizer Behörden zivile Technologie gerne annehmen. Für das kommende Jahr sind nicht weniger als 31 Initiativen von hoher Priorität geplant.


Raum für Verbesserungen
Das LaSUR-Team fand in zwei Bereichen deutlichen Verbesserungsbedarf. Erstens: Obwohl die mit Hilfe der Civic Tech gewonnenen Meinungen der Bürger in den begleitenden Berichten wiedergegeben werden, neigen die Schweizer Behörden immer noch dazu, diesen Meinungen im endgültigen Entscheidungsprozess nicht genügend Wichtigkeit beizumessen. Und zweitens ist es noch zu früh, um die Auswirkungen der Technologie auf die Bürgerbeteiligung richtig einzuschätzen. Die Forscher werden nach ihrer zweiten Umfrage, die für Herbst 2020 geplant ist, ein klareres Bild haben.


Die Ergebnisse der ersten Umfrage werden am 3. Februar 2020 im 3DD Espace de Concertation in Genf im Rahmen einer Sonderveranstaltung vorgestellt, die sowohl für Praktiker und andere interessierte Kreise als auch für die breite Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Hausser wird die Ergebnisse in ihre Dissertation einfliessen lassen, die sich auf weitergehende Fragen rund um den Einsatz von "civic tech" für die Öffentlichkeitsbeteiligung an Planungsprozessen in der Schweiz konzentriert. Ihre Forschung wird von Prof. Kaufmann und Boris Beaude in Zusammenarbeit mit dem Kanton Genf betreut.

  • "Résultat de l'enquête Baromètre des civic tech en Suisse 2019", Armelle Hausser und Prof. Vincent Kaufmann, 3. Februar 2020 13.30 Uhr, auf Französisch, 3DD espace de concertation, Rue David Dufour 3, Genf. Für die Öffentlichkeit zugänglich.