«Zügig hochfahren, aber mit grosser Umsicht»
Herr Mesot, wie nehmen Sie die Stimmung der ETH-Angehörigen nach fünf Wochen Lockdown wahr?
Natürlich habe ich die Unsicherheit und auch die Frustration gespürt, die der Notbetrieb zunächst mit sich brachte. Doch mich hat enorm gefreut und beeindruckt, mit wieviel Kreativität, spontanem Engagement und Teamgeist die ETH-Angehörigen die Herausforderung Coronavirus angenommen haben. So haben wir die Lehre ja praktisch über Nacht ins Netz verlagert und aus dem Stand wurde eine Fülle von Projekten lanciert, um bei der Lösung der Coronakrise zu helfen. Auch die Verwaltungsprozesse funktionieren trotz allem ausgezeichnet.
Der Bund lockert die schweizweiten Massnahmen ab dem 27. April. Nun kann die ETH die Normalisierung planen. Was überwiegt bei Ihnen: der Schmerz über verlorene wertvolle Zeit oder die Erleichterung, dass sich die ETH hoffentlich bald wieder mit Leben füllt?
Joël Mesot: Letzteres. Ich bin froh, dass sich die Phase, in der nicht in den ETH-Gebäuden gearbeitet werden kann, dem Ende zuneigt. Ich denke vor allem an die experimentell Forschenden, die ihre Versuche herunterfahren mussten. Da die Laborforschung vom Notbetrieb sehr stark betroffen ist, hat sie in unserem Masterplan für die Rückkehr zum Normalzustand Priorität. Wir wollen die Labors jetzt zügig hochfahren, dabei müssen wir aber mit grosser Umsicht vorgehen.
Was heisst das konkret?
Ab kommender Woche können die Departemente nach und nach weitere experimentelle Forschung zulassen. Dabei gilt es Erfahrungen zu sammeln, wie der Forschungsbetrieb unter Einhaltung der Distanz- und Hygienevorschriften funktionieren kann. Ich bitte also alle Forschenden, die möglichst umgehend wieder in ihre Labors möchten, weiterhin um etwas Geduld.
Das Ausstiegsszenario der ETH ist in drei Phasen gegliedert. Was war der Grund dafür?
Wir sehen bei den Infektionszahlen in der Schweiz immer mehr Licht am Ende des Tunnels – aber wir müssen uns bewusst sein: Wir sind noch längere Zeit in diesem Tunnel unterwegs. Das schrittweise Vorgehen ermöglicht es einerseits, den Ausstieg aus dem Notbetrieb konkret zu planen. Angesichts der Komplexität und Grösse der ETH ist das für uns entscheidend. Andererseits erleichtert es die Etappierung, regelmässig zu prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind und den Plan wenn nötig zu justieren. Selbstverständlich ist die Verbindlichkeit von Aussagen für die erste, bis zum Semesterende dauernde Phase viel grösser als für die letzte Phase, die mit dem Herbstsemester startet und bis ungefähr Ende Jahr dauern dürfte.
In einem ersten Schritt ist also das rasche Herauffahren der experimentellen Forschung vordringlich. Welche Ziele stehen in Etappe 2 im Zentrum?
Einen besonderen Stellenwert haben in dieser Zeit – sie umfasst die Semesterferien – die Leistungskontrollen. Eines unserer wichtigsten Ziele seit Beginn der Corona-Krise ist es, dass möglichst keine und keiner unserer Studierenden aufgrund der Pandemie ein Semester oder gar ein Jahr verliert. Aus diesem Grund wollen wir, wenn immer möglich, die Sessionsprüfungen im August durchführen. Die mündlichen Prüfungen sollen in den ETH-Gebäuden stattfinden. Über die Einzelheiten informiert Rektorin Sarah Springman die Studierenden noch separat.
In diese Zeit, auf den 8. Juni, fällt ja auch der vom Bund in Aussicht gestellte Termin für die generelle Öffnung der Hochschulen für den Studienbetrieb. Wie geht die Schulleitung damit um?
Wie immer dieser Grundsatzentscheid definitiv lauten wird: Wir werden die Rückkehr der Studierenden, in dieser Phase an die öffentlichen Arbeitsplätze an der ETH, ebenso zurückhaltend, kontrolliert und schrittweise handhaben wie jene der Mitarbeitenden.