«Wenn man in einer gewissen Position ist, sollte man sich nicht verstecken»
Frau Moselund, Sie sind am 1. Februar neu ans PSI gekommen, als Leiterin des ebenfalls ganz frisch gegründeten Labors für Nano- und Quantentechnologien (LNQ). Ist das für Sie etwas Besonderes?
Kirsten Moselund: Ja, und ich finde das schön so. Auf diese Art sind wir alle neu in diesem Labor. Ich selber bin nur ein Teil davon und kann dabei sein, mit dem LNQ etwas Neuartiges wachsen zu lassen. Natürlich haben wir Vorgaben und wir müssen selbstverständlich dafür sorgen, dass wir relevant sind fürs PSI. Aber wir haben auch sehr viele Freiheiten.
Sie selbst sind seit Ihrer Promotion in der Schweiz, ursprünglich kommen Sie aus Dänemark. Wie kam es dazu?
Ich habe in Dänemark Energie-Ingenieurwesen studiert, habe aber bald herausgefunden, dass mir die Mikroelektronik am meisten gefällt, also ein Bereich der Festkörperphysik. Das erste Mal in die Schweiz gekommen bin ich über einen Erasmus-Austausch. Da hatte ich nur einen Nachmittag Zeit, um mich zu entscheiden, ob ich nach Lausanne möchte oder nach Toulouse in Frankreich. Lausanne sah auf den Fotos so schön aus, da habe ich mich spontan dafür entschieden und war also schon während des Studiums für ein Jahr an der der École polytechnique fédérale in Lausanne (EPFL). Nach meinem Studienabschluss bin ich dann bewusst für meine Promotion dorthin zurückgekehrt.
Und nach der Promotion sind Sie in der Schweiz geblieben?
Ja, weil sich sowohl für meinen Mann, der ebenfalls Däne ist, als auch für mich dann Stellen in der Schweiz ergeben haben. Ich habe bei IBM angefangen, zunächst als Postdoktorandin, dann bald als angestellte Forscherin. Mittlerweile ist die Schweiz in jedem Sinn unser zu Hause: Unsere beiden Kinder sind hier geboren, mittlerweile haben wir alle die Schweizer Staatsbürgerschaft. Im Vergleich zu vielen anderen Karrieren finde ich es übrigens in der Forschung einfacher, Kinder zu haben.
Tatsächlich? Wie meinen Sie das?
Die Forschung ist in gewisser Hinsicht eher ein Lebensstil als nur ein Beruf. Die nächste Idee kann ich genauso gut beim Spaziergang im Wald haben wie im Büro. Also sitzt man auch mal am Abend oder am Wochenende dran. Umgekehrt haben aber auch Leute Verständnis, dass man entsprechend mal flexibel unter der Woche früher nach Hause geht; oder dass man von zu Hause aus arbeitet, wenn es dem eigenen Kind nicht gut geht. Und ausserdem konnte ich in der Forschung immer in Teilzeit arbeiten. Bei IBM hatte ich von Anfang an, also schon bevor wir Kinder hatten, eine 80%-Anstellung: Ich male gerne und wollte für dieses Hobby Zeit haben. Damals wurde mir übrigens gesagt: «Ja, als Postdoc geht das noch, Teilzeit zu arbeiten, aber später nicht mehr.» Aber tatsächlich war es dann auch später trotz aller Karriereschritte nie ein Problem. Ich habe auch am Ende in meiner Management-Position 90% gearbeitet und jetzt mit meiner Doppelrolle am PSI und an der EPFL habe ich insgesamt einen 90%-Vertrag. Am Mittwochnachmittag bin ich für meine Kinder zu Hause, das ist mir wichtig.
Sie empfehlen Teilzeitarbeit also zur Nachahmung?
Für mich persönlich setzt Teilzeit eine klare Grenze: An diesem einen Nachmittag bin ich nicht verfügbar – ausser es ist wirklich wichtig. Teilzeit ist sicherlich nicht die Universallösung für alle. Aber ich denke, es sollte diese Möglichkeit geben, und zwar ohne Nachteile für die Karriere. Apropos: In Dänemark ist es ganz selbstverständlich, dass Paare sich die Verantwortung in der Familie gleichberechtigt aufteilen und dass entsprechend auch bei beiden die jeweilige Karriere weitergeht. Das war also für meinen Mann und mich klar. Seltsam war für mich nur, dass mein Umfeld von etwas anderem ausging. Als ich schwanger war, hat jemand auf der Arbeit gesagt: «Glückwunsch! Aber schade, dass du uns verlassen wirst.» Als ob das die einzige mögliche Entwicklung wäre.
Wollen Sie jungen Eltern ein Vorbild dafür sein, dass es anders geht?
Unbedingt. Für mich waren immer zwei Dinge klar: Die Beziehung zwischen Vater und Kind ist genauso wichtig wie die zwischen Mutter und Kind. Und zweitens sollte sich niemand zwischen Karriere oder Familie entscheiden müssen. Darum finde ich es auch wichtig, wenn man in einer gewissen Position ist, sich bei diesem Thema nicht zu verstecken. Ich sage oft: «Heute muss ich früher gehen, ich muss meine Kinder abholen.» Ich möchte immer zeigen: Es ist okay, mehr zu wollen als nur ein Berufsleben.
Haben Sie sich am PSI gut eingelebt?
Ja, ich fühle mich hier sehr willkommen. Und die Leitung des LNQ ist für mich eine Chance, Einfluss zu haben in der Forschung zum Quantum Computing, die jetzt neu und sehr stark kommt.
Kurzbiografie
Kirsten Moselund studierte Energie-Ingenieurwesen in Dänemark. Ihr Hauptinteresse galt jedoch bald einem Teilbereich der Festkörperphysik: der Elektronik. In die Schweiz kam sie erstmals während eines Erasmus-Austausches an die École polytechnique fédérale in Lausanne (EPFL). Dorthin kehrte sie für ihre Promotion zurück, die sie 2008 abschloss. Ihr nächster Arbeitgeber war IBM in Rüschlikon, wo sie als Postdoktorandin begann und noch bis Anfang 2022 als fest angestellte Forscherin arbeitete, zum Schluss in einer Managementposition. Seit Februar 2022 ist sie am PSI Leiterin des neu gegründeten Labors für Nano- und Quanten-Technologien (LNQ) und zugleich ordentliche Professorin für Elektro- und Mikrotechnik an der EPFL. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Nanophotonik und die Entwicklung nanoelektronischer Bauelemente mit sehr geringem Stromverbrauch.
Ist dieser Forschungsbereich denn noch immer so neu? Das eine oder andere grosse Unternehmen hat doch schon vor einigen Jahren eigene Quantencomputer gebaut?
Man muss verstehen: Es gibt viele grundsätzlich verschiedene Typen von Quantencomputern. Das fängt bei verschiedenen Sorten Qubits, also Quantenbits, an. IBM setzt zum Beispiel auf supraleitende Qubits. Es gibt andere, die funktionieren auf der Basis von Ionen-Fallen und noch weitere Möglichkeiten. Es ist nicht wie in der klassischen Elektronik, von der es heutzutage praktisch nur eine etablierte Sorte gibt: die sogenannte CMOS-Logik, die auf komplementären Schaltungen von Metall-Oxid-Halbleiter-Transistoren basiert. Demgegenüber gibt es ein ganzes Ökosystem an Qubits und überhaupt an Quanteneffekten, die sich technisch ausnutzen lassen. Und vielleicht können diese auf Dauer nebeneinander leben, das ist noch nicht klar. Es ist jedenfalls noch ganz offen, welche Plattform eines Tages die dominierende sein wird. Und ich sehe in der akademischen Welt mehr Möglichkeiten, diese vielen verschiedenen Ansätze zu verfolgen. Kurz gesagt: Wir sind in der Forschung grade an einer Schwelle, an der wir die Effekte im Quantum Computing besser verstehen und anfangen können, sie zu kontrollieren und zu verwenden. Und aktuell sind Hochschulen und Forschungsinstitute die besten Orte, um die neuen Grundlagen zu legen.
Ihr Forschungsinteresse umfasst auch die Nanophotonik. Was ist das und was hat das mit Elektronik zu tun?
Photonen sind in der Fachsprache die Lichtteilchen. Nanophotonik bedeutet, dass wir an sehr kleinen Elementen forschen, die Licht erzeugen oder detektieren, und dadurch in elektronische Bauteile integriert werden können, wo sie zur Informationsübertragung beitragen. In der Datenübertragung über lange Strecken haben wir ja schon umgestellt: Früher lief die Telefonie über Kupferdrähte, heute kommt das Internet viel effizienter mit Glasfaser bis ins Haus. Die Frage, die sich heute stellt, ist: Ab welcher Strecke ist es schon sinnvoll, Licht statt Elektronen zu transportieren. Vielleicht schon für gewisse Strecken innerhalb eines Computerchips. Das wäre dann die Nanophotonik, denn dafür brauchen wir winzige Lichtquellen in Form von LEDs oder Lasern auf einem Chip.
Ist auch das ein Weg in Richtung Quantencomputer?
Womöglich. Bei IBM habe ich an der Integration von neuen Materialien auf Silizium-Plattformen geforscht, weil die siliziumbasierte Elektronik derzeit die am besten erforschte und entwickelte Form ist. Durch solche Weiterentwicklungen lassen sich verschiedene Komponenten erschaffen, entweder für Künstliche Intelligenz, für Quanteninformatik oder Quantensensorik. Die Anwendungen sind also vielfältig. Hier am PSI forschen wir unter anderem an Quantentechnologien basierend auf Ionen-Fallen. Diese werden optisch ausgelesen und dafür ist eine integrierte Photonik der nächste Schritt in der Entwicklung.
Man merkt Ihre Begeisterung für zukünftige Technologien!
Ich war früher jeden Tag im Reinraum und habe das geliebt. Sachen selber zu machen und zu messen, mit meinen eigenen Händen Dinge zu erschaffen, das finde ich wirklich toll. Wahrscheinlich werde ich jetzt als Laborleiterin nicht mehr so viel selber in den Reinraum gehen. Aber ich baue das LNQ auf und unterstütze meine Mitarbeitenden bei ihrer täglichen experimentellen Arbeit. Und ich freue mich schon sehr auf den zusätzlichen Reinraum, den es bald am Park Innovaare geben wird. Ich suche immer die Brücke von der Grundlagenforschung zur Anwendung. Ich möchte dabei helfen, all die Möglichkeiten, die mit dem Park Innovaare kommen, attraktiv zu machen für Start-ups. Das PSI ist bereits sehr aktiv im Bereich Technologie-Transfer. Ich freue mich darauf, diese Entwicklungen mithilfe unseres Labors noch weiter auszubauen.