Wir sind weniger Gentech-skeptisch als gedacht

Schweizer Konsumierende wollten eine gentechfreie Landwirtschaft, heisst es oft. Doch die Akzeptanz gegenüber gentechnisch veränderten Kulturpflanzen ist vermutlich höher als dargestellt, meint Angela Bearth.
Die Landwirtschaft braucht robuste und resistente Kulturpflanzensorten. Im Bild: Weizen. (Bild: iStock/IGphotography)

Das in der Schweiz herrschende Anbauverbot für gentechnisch veränderte Kulturpflanzen läuft Ende Jahr aus. Nun soll das Moratorium zum vierten Mal verlängert werden und – wie bisher – auch die moderne Genom-Editierung umfassen. Somit dürfte dieses für die Pflanzenzüchtung vielversprechende Werkzeug gleich streng reguliert bleiben wie die klassische Gentechnologie. Ein häufiges Argument für die strikte Regulierung ist, dass die Konsumentinnen und Konsumenten gentechnisch veränderte Produkte ohnehin ablehnen. Genau betrachtet steht dieses Argument aber auf wackeligen Beinen.

So verweisen Befürworter des Moratoriums oft auf ältere Studien, die sich auf die frühen Gentech-Methoden beziehen, oder sie stützen sich auf ungeeignete Daten. Beispielsweise wird häufig eine Befragung des Bundesamts für Statistik1 als Beleg für die mangelnde Konsumentenakzeptanz zitiert. Darin geben Konsumenten jährlich an, wie gefährlich sie Gentechnologie zur Produktion von Lebensmitteln finden. Diese wird demnach als vergleichbar gefährlich eingeschätzt wie die sinkende Biodiversität, synthetische Pflanzenschutzmittel oder der Klimawandel.

Unsere Wahrnehmung hängt vom Kontext ab

Aus dieser isolierten Frage zu schliessen, dass die Konsumenten Gentechnik grundsätzlich ablehnen, ist falsch. Der Fokus auf die Gefahr losgelöst vom Kontext der Technologie blendet weitere Aspekte aus, die ebenfalls eine Rolle spielen können für die Akzeptanz. Aus der Risikoforschung wissen wir, dass Leute ein kleines Mass an Unsicherheit akzeptieren, wenn sie einen persönlichen oder gesellschaftlichen Nutzen erkennen.

Als Psychologin möchte ich verstehen, wie Menschen mit komplexen Themen umgehen und entscheiden. Ich beschäftige ich mich häufig mit naturwissenschaftlichen Themen und kollaboriere mit anderen Disziplinen. Es wird allgemein unterschätzt, wie viel Arbeit in einen guten Fragebogen zur Akzeptanz bestehender oder neuer Technologien einfliesst. Dabei gibt es evidenzbasierte Prinzipien, um valide und relevante Antworten zu erhalten.

Befragen, ohne zu beeinflussen

Das erste Prinzipien ist, Fragen so zu formulieren, dass sie keine Antworttendenzen auslösen. Wer direkt fragt, wie gefährlich man Gentechnologie findet, suggeriert bereits, dass eine Gefahr besteht. Das begünstigt extremere Antworten als etwa eine neutrale Frage nach der persönlichen Einschätzung.

Als weiteres Prinzip sollte man sicherstellen, dass die befragten Personen verstehen, was sie beurteilen. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Menschen bei unsicheren Entscheidungen so genannte Heuristiken – also einfache Daumenregeln – nutzen. Wer wenig über ein Thema weiss, lässt sich von Assoziationen leiten. Bei der Frage «Hättest du lieber eine normale oder eine Gentech-Kartoffel» wählen mehr Menschen die «normale» Kartoffel, weil sie bei der Gentechnik ein diffuses Unbehagen empfinden oder an «Frankenstein-Kartoffeln» aus dem Internet denken.

Es fehlt an aussagkräftigen Daten

Um zu beurteilen, wie Schweizer Konsumentinnen zur Gentechnologie stehen, bräuchte es neue sozialwissenschaftliche Daten, die der Komplexität des Sachverhalts gerecht werden. Seitdem das Stimmvolk die Gentechfrei-Initiative im Jahr 2005 angenommen hat, haben sich Wissenschaft und Gesellschaft enorm weiterentwickelt.

«Ich halte es für denkbar, dass die Gesellschaft angesichts der drängenden Probleme wie Pestizideinsatz, Klimawandel und Artensterben neue Technologien eher annehmen wird.»      Angela Bearth

So sind die neuen Verfahren der Genom-​Editierung viel präziser als die Gentechnik der Nullerjahre und bergen das Potenzial, krankheitsresistente und klimatolerante Kulturpflanzensorten effizient zu züchten, ohne artfremde DNA ins Erbgut einzubauen. Derweil haben sich die befürchteten Risiken durch genetisch veränderte Pflanzen bislang nicht bewahrheitet. Viele Forschende schlagen daher vor, das Risiko von neuen Sorten nicht generell aufgrund der Züchtungsmethode, sondern fallweise anhand ihrer Eigenschaften zu bewerten.

Zudem wächst eine neue Generation von Konsumentinnen heran, die nachweislich offener ist für innovative Lösungen in der Landwirtschaft. Ich halte es für denkbar, dass die Gesellschaft angesichts der drängenden Probleme wie Pestizideinsatz, Klimawandel und Artensterben neue Technologien eher annehmen wird.

Die Debatte frisch lancieren

In einer Studie zur Akzeptanz von Lösungsansätzen gegen die Kartoffelfäule2 haben wir Probanden vier Massnahmen präsentiert, welche die Kartoffeln schützen oder resistent machen: Synthetische Fungizide spritzen, mit Kupfer behandeln, Gene einer Wildsorte in die Kartoffel übertragen (Gentechnologie) oder das Erbgut der kultivierten Kartoffel verändern (Genom-Editierung). Das Ergebnis: Die Akzeptanz war am höchsten gegenüber der Gentechnologie.

Von dieser einen Studie auf eine breite Zustimmung in der Schweizer Bevölkerung zu schliessen, wäre sicher ebenfalls falsch. Die Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass die Frage nach der Wahrnehmung der Gentechnologie vielschichtiger ist als dargestellt wird.

Wenn wir von vornherein ausschliessen, dass Konsumierende offen sind für gut erforschte Technologien, ist das unverantwortlich und entmündigend. Wenn wir den Menschen die richtigen Fragen stellen, erhalten wir auch relevante Antworten.

Angela Bearth ist Vizepräsidentin des Forums Genforschung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz.

References

Federal Statistical Office: Environment.Pocket Statistics 2020. Chapter 4, Assessment of the danger for humans and the environment (page 40).

2 Saleh, Bearth, & Siegrist (2020). How chemophobia affects public acceptance of pesticide use and biotechnology in agriculture. Food Quality and Preference, 91, 104197, 10.1016/j.foodqual.2021.104197